Hass im Netz als Bedrohung demokratischer Diskurse – zu diesem Ergebnis kommt eine im Februar 2024 erschienene repräsentative Studie des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz. Befragt wurden 3000 Internetnutzer*innen ab 16 Jahren.

Mehr als zwei Drittel der Internetnutzer*innen zwischen 16 und 24 Jahren (69%) hat schon einmal Hass im Netz gesehen. Knapp ein Drittel war schon einmal selbst betroffen. In Brandenburg sind die Zahlen ähnlich. So wurde hier rund ein Drittel der Jugendlichen schon einmal im Internet beleidigt, bedroht oder bloßgestellt (31,7 %; 2017: 21,5 %) oder sexuell belästigt (21,7 %; 2017: 13,4 %).1

Die Begriffsdefinition, die der Studie des Kompetenznetzwerks zugrunde liegt, ist ein relativ weit gefasster. So wird Hass im Netz nicht „nur“ verbal begriffen. Bilder und andere Online-Phänomene werden mit einbezogen. Gerichtet kann er sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen Personengruppen sein.

Hass im Netz bezeichnet eine Vielzahl unterschiedlicher, u. a. abwertender, entwürdigender, auf Einschüchterung zielender oder verletzender Online-Phänomene gegenüber Personen oder bestimmten Personengruppen. Gemeint sind damit sowohl entsprechende Inhalte als auch Handlungen.
(Lauter Hass im – leiser Rückzug, S. 17)

Auch wenn ein überwiegender Teil der befragten Personen nicht mehr im jugendlichen Alter ist, wird an den Ergebnissen deutlich, dass je jünger die Personen sind, desto mehr Erfahrungen sie mit Hass im Netz gemacht haben. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass junge Menschen entsprechende Social-Media-Plattformen wesentlich intensiver nutzen als ältere Menschen.

Gerade die jüngeren Internetnutzer*innen im Alter von 16 bis 24 Jahren sind diejenigen, die Hass im Netz einerseits stärker wahrnehmen (vgl. Kapitel 4). Andererseits nutzen sie die Plattformen stärker, auf denen besonders häufig Hass im Netz wahrgenommen wird, insbesondere TikTok und Instagram. Sie neigen eher dazu, diese Plattformen mehrmals täglich zu nutzen und sind damit noch häufiger Hass im Netz ausgesetzt als ältere Internetnutzer*innen.2

Betroffen sind vor allem junge Frauen, homo-/bisexuelle Menschen und nicht-weiße Menschen. Bis zu einem Drittel von diesen Personengruppen hat bereits Hass im Netz erlebt (insgesamt alle Befragten: 15%). Zu vermuten ist, dass auch nicht-binäre, trans* und inter*-Personen stark betroffen sind, jedoch tauchten entsprechende Personen in der Befragung kaum auf, bzw. beruft sich die Studie auf eine zu geringe Fallzahl. Gleiches gilt im übrigen für die Studie von Partner5 zu sexualisierter Gewalt3 und auch für die Barmer-Studie zu Cyber-Mobbing. In letzterer wird konstatiert, dass sich als divers identifizierende Jugendliche insgesamt am häufigsten (von Cybermobbing) betroffen sind. So sind sie beispielsweise zu 100% Beleidigungen und zu 80% Belästigungen und Gerüchten ausgesetzt gewesen (Vorsicht: geringe Fallzahl)4. Die HBSC-Gesundheitsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Viertel aller sich als divers identifizierenden Jugendlichen in Brandenburg schon im Netz gemobbt wurde (zum Vergleich, Jungen: 5,3%, Mädchen: 6%)5.

Rückzug marginalisierter Gruppen aus dem Netz

Der leise Rückzug aus dem Netz, bzw. von bestimmten Plattformen und aus Debatten ist für viele Betroffene das einzige Mittel, dem Hass zu entkommen. Fast die Hälfte aller Betroffenen (46%) geben an, nach der Erfahrung mit Hass im Netz ihr Profil nicht mehr benutzt oder gelöscht zu haben.

Gravierend und eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen, die schon Hass im Netz gesehen haben, aber nicht betroffen sind, nichts getan haben, um den Hass zu stoppen, wie z.B. Personen blockiert, gemeldet, etc.6. Das heißt, es ist davon auszugehen, dass sich Betroffene alleine fühlen und deswegen den Rückzug antreten.

Wird dabei berücksichtigt, dass Erfahrungen von Hass im Netz nicht alle gleich trifft, sondern vor allem Frauen sowie diskriminierte und marginalisierte Gruppen, wird deutlich, dass gerade die Stimmen verstummen, die vielfältige Perspektiven in unseren demokratischen Diskurs bringen.
(Lauter Hass im – leiser Rückzug, S. 45)

Notwendige pädagogische und politische Maßnahmen

Schaut man sich die Ergebnisse der Studie des Kompetenznetzwerks an, so wird deutlich, wie wichtig es ist, sowohl in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als auch auf der politischen Ebene in Brandenburg und darüber hinaus anzusetzen, um gegen Hass im Netz vorzugehen.

Zwischen 79 und 90 % aller Befragten stimmen vorgeschlagenen politischen Forderungen zur Bekämpfung von Hass im Netz zu.
(Lauter Hass im – leiser Rückzug, S. 60)

Hierfür muss unserer Einschätzung nach auf zwei Ebenen angesetzt werden. Zum einen geht es darum, verstärkt – auch digitale – Räume für marginalisierte junge Menschen (queere, von Rassismus betroffene, behinderte Jugendliche,…) zu schaffen, bestehende Räume finanziell zu sichern und auszubauen, wo sie gestärkt und empowert werden.

Zum anderen gilt es, mit allen (anderen) Jugendlichen und Fachkräften zu arbeiten, sie zu sensibilisieren, über Rechte aufzuklären und dadurch zu mehr Zivilcourage zu motivieren.

In der Pädagogik sehen wir Bedarf an der Etablierung und Verstetigung folgender Maßnahmen:

  • Sensibilisierung von Pädagog*innen (für Hass im Netz generell und als Ansprechpartner*innen für Betroffene)

  • Aufklärung Betroffener sowohl über ihre Rechte als auch über Interventionsmöglichkeiten

  • Implementierung von Präventions- und Interventionskonzepten in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sowie an Schulen

  • Etablierung von Medienpädagogik als Querschnittsthema in allen Einrichtungen

  • Perspektivwechsel und Empathie bei Beobachter*innen von Hass im Netz erreichen über die Implementierung von Präventionskonzepten in Schule und Jugendarbeit, Workshops zu Kommunikation, Demokratiebildung, Anti-Bias, Wertevermittlung, Zivilcourage, etc.

Aber auch über die pädagogische Arbeit hinaus müssen Veränderungen – gerade auch auf politischer, bzw. institutioneller Ebene – angestoßen werden. Im Hinblick auf sowohl Prävention als auch Intervention ist es notwendig, Akteur*innen zu sensibilisieren und zur Verantwortung zu ziehen:

  • Niedrigschwelliger Zugang zu kostenfreien rechtlichen Interventionsmöglichkeiten für Betroffene schaffen

  • Schaffung, bzw. Ausbau von (Online-)Beratungsstellen und Rechtsberatung

  • stabile Finanzierung bereits bestehender Projekte und (Beratungs-)Einrichtungen

  • zur Verantwortung ziehen von Social-Media-Plattformen

  • Sensibilisierung von Polizei und Justiz

  • Anwendung bestehender Gesetze

Um die Demokratie zu schützen und eine starke Zivilgesellschaft zu erreichen, muss Hass im Netz bekämpft werden. Hierfür braucht es den Blick auf das mediale Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Wenn sie ihre Rechte und die Risiken im Netz kennen; wenn wir Hass und Diskriminierung nicht mehr tolerieren; wenn wir mehr (digitale) Räume schaffen, in denen sich Kinder und Jugendliche frei von Angst vor Gewalt und Diskriminierung bewegen können und sich nicht mehr alleine fühlen – dann hat Hass im Netz weniger Chance.

Hier eine Auflistung einiger bereits bestehender Online-Unterstützungs- und Beratungsangebote:

offizielle Beschwerdestellen:

Beratung und Infos:

…explizit für junge Menschen:

 

1Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e. V. an der Universität Potsdam (Hg.): Jugend in Brandenburg 2022/2023 – Kurzdarstellung der Untersuchungsergebnisse. S. 12

2Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. S. 37

3In der Studie von Partner5 werden sich als divers definierende Jugendliche immerhin in der Ergebnisdarstellung angegeben. Jedoch ist dies statistisch nur bedingt aussagekräftig (vgl. Weller, K.; Bathke, G.-W.; Kruber, A.; Voß, H.-J. (2021): PARTNER 5 Jugendsexualität 2021.
Primärbericht: Sexuelle Bildung, sexuelle Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt. Merseburg:
Hochschule Merseburg, S. 8)