Hohe Bildschirmzeiten, exzessives Computerspielen, lieber Smartphone als interaktion mit der Familien – die digitalen Lebenswelten von jungen Menschen stoßen nicht immer auf Verständnis bei Erwachsenen. Eltern können sich in unserem Projekt Eltern-Medien-Beratung Orientierung verschaffen.

An pädagogische Fachkräfte, therapeutisches und medizinisches Personal richtet sich unser Positionspapier:

Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. (BAJ) und dem Deutschen Kinderhilfswerk e.V. (DKHW) sowie vier weiteren Organisationen setzt sich die AKJS Brandenburg für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit dem Begriff der Mediensucht ein. Ein solcher Umgang soll vor einer unzutreffenden Stigmatisierung einer Vielzahl junger Menschen schützen, als notwendige Diagnose Hilfe für betroffene Kinder und Jugendliche ermöglichen sowie gleichermaßen die Bedeutung des Spiels und damit einhergehender Aktivitäten für das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern anerkennen. Der kinderrechtliche Dreiklang aus Schutz, Befähigung und Teilhabe ist dabei stets mitzudenken.

Die Unterzeichnenden haben sich auf folgenden Positionen mit Blick auf das Inkrafttreten des ICD 11 und der Aufnahme des Gaming Disorder als eigenes Krankheitsbild geeinigt:

Positionen

  1. Die unreflektierte oder leichtfertige Verwendung des Begriffs der Mediensucht ist aus pädagogischen wie aus medizinischen Gründen kontraproduktiv. Sie trägt einerseits zu einer unnötigen sozialen Stigmatisierung junger Menschen bei, welche intensiv oder exzessiv Medien nutzen. Andererseits kann sie eine angemessene Präventionsarbeit sowie die Ansprache Betroffener erschweren und dazu führen, dass diese nicht ernst genommen und ihre negativen Erfahrungen verharmlost werden. Infolgedessen könnten notwendige und hilfreiche therapeutische Angebote für Betroffene in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt werden.
  2. Wir benötigen einen fach- und gesellschaftsübergreifenden Diskurs darüber, was als üblich, produktiv, entwicklungsfördernd und unkritisch bei der Nutzung von digitalen Games anzusehen ist. Gleichermaßen ist zu hinterfragen, aus welchen Gründen sowie anhand welcher Kriterien eine Bewertung als problematische Mediennutzung erfolgt. Der Begriff der Normalität muss ständig an die gesellschaftliche Realität angepasst werden. Dabei sind die Entwicklung neuer Angebotsformate von Games ebenso zu berücksichtigen wie deren (jugend-)kulturelle Einbindung und gesellschaftliche Entwicklungen (bspw. eSport).
  3. An einem gesellschaftlichen Diskurs über normale oder schwierige Gaming-Nutzung müssen Kinder und Jugendliche beteiligt werden. Ihre Erfahrungen und Reflexionen sollen wesentlicher Bestandteil in diesem Prozess sein.
  4. Die Definition des pathologischen Gaming sollte regelmäßig überprüft werden, damit veränderte Nutzungsweisen im Lebensalltag auch in die diagnostische Praxis integriert werden. Eine klare Diagnostik vermindert Stigmatisierung. Wird problematisches Gaming festgestellt, muss im Einzelfall betrachtet werden, ob es sich um eine Abhängigkeitserkrankung (Gaming Disorder) handelt, welche Faktoren, bspw. hinsichtlich des sozialen oder familiären Umfeldes jeweils zu berücksichtigen und welche Formen der Beratung (Erziehungs- und Familienberatung, Selbsthilfegruppe) und ggf. Therapie effektiv sind. Jungen Menschen, die betroffen sind, müssen niedrigschwellige, kostenlose und bedarfsgerechte Angebote zur Verfügung stehen.
  5. Die Befähigung junger Menschen zur bewussten und gesunden Nutzung von Medien ist zu fördern. Die Vermittlung von Medienkompetenz als wichtigem Präventionsfaktor ist zentral. Dafür muss die Rolle des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes vor allem in Bildungseinrichtungen, aber auch in der freien und öffentlichen Jugendhilfe nachhaltig personell und finanziell abgesichert werden sowie sich fachlich multidisziplinär ausrichten. Angebote zur Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche sowie zur Fort- und Weiterbildung für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe sollten obligatorisch sein. Ebenso sollten risikogruppenspezifische Angebote für gefährdete Gruppen junger Menschen vorgehalten werden.
  6. Medienerziehung ist ein Teil der Erziehung. Eltern und andere Erziehungsberechtigte tragen eine hohe Verantwortung für ein gutes Aufwachsen von Kindern mit Medien. Sie sind einerseits Vorbild und sollten daher die eigene Mediennutzung reflektieren, der kindlichen Mediennutzung mit Interesse begegnen, diese begleiten sowie alters- und entwicklungsgemäße Orientierung bieten. Andererseits sind Eltern auch Entdeckende und Lernende, die Unterstützung und Beratung wünschen. Medienkompetenzangebote sollten deswegen ebenso für Eltern und Erziehende angeboten werden und niedrigschwellig zugänglich sein, auch um eine beteiligungsorientierte Medienerziehung und eine Kultur des Austausches in den Familien zu stärken.
  7. Medienanbieter müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Dazu gehört es, Spiele für junge Menschen zu entwickeln, die an deren Interessen und Neigungen anknüpfen, ihre Kreativität anregen sowie förderlich für ihre Entwicklung sind. Um dies zu erreichen, sollten Anbieter junge Menschen an der Entwicklung ihrer Produkte beteiligen. Um die persönliche Integrität zu schützen, müssen Anbieter auch auf abhängigkeitsproduzierende Spielgestaltungen und Mechanismen der wirtschaftlichen Ausbeutung verzichten. Sie sollten Risiken kennzeichnen und in die Präventionsarbeit investieren. Technische Voreinstellungen der Anbieter zum Schutz von Kindern vor potenziellen Risiken und Gefahren sind durch Eltern und Erziehungsberechtigte zu nutzen und anzuwenden. Anbieter müssen außerdem geschlechts- und diversitätsspezifische Interessen, Bedürfnisse sowie Risiken beachten und geeignete Lösungen anbieten.
  8. Die Forschung zur Gaming Disorder, ihren Ursachen und Auslösern, zur Prävention sowie zur Beratung und Therapie ist zu intensivieren und als Grundlage für Hilfsangebote nutzbar zu machen. Ein regelmäßiger Dialog zwischen der Sucht-, und der Kinder- und Jugendhilfe ist notwendig.

Erstunterzeichnende Organisationen und Personen:

• Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg e.V. (AKJS)
• Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen e. V. (BAG OKJE)
• Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. (BAJ)
• Deutscher Bundesjugendring (DBJR)
• Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (DKHW)
• Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V. (fdr)
• Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (LJS)
• Prof. Dr. Rudolf Kammerl (Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg)

 

Hier können Sie das ganze Positionspapier Mediensucht nachlesen.